Die Freiwillige im FSJ Kultur, Nora, berichtet vom ersten digitalen Seminar im Laufe des Freiwilligendienstes. Aufgrund der Empfehlungen zum Umgang mit Covid-19 wurden bisher alle Seminare und Bildungstage für die Freiwilligen abgesagt. Nun gab es eine erste Alternative. Ihre Eindrücke könnt ihr hier nachlesen.
Tag 1
Es ist Dienstag um 9:50 Uhr. In 10 Minuten beginnt mein Seminar.
Als ich die Nachricht bekam, dass mein Theaterseminar aufgrund der aktuellen Lage (ich kann diese Wörter kaum noch hören) nicht wie geplant stattfinden kann, bin ich enttäuscht und traurig zu gleich. Jetzt nimmt mir Corona nicht nur meine Freiheit, sondern auch noch mein Seminar. Alles, bloß nicht mein Seminar! Aber egal, es gibt wirklich schlimmere Sachen zurzeit und so tröstet mich der Gedanke, dass es wenigstens die Alternative gibt, alles online stattfinden zu lassen.
5 Minuten vor Seminarbeginn stehe ich nun endlich auf und ziehe mir fix meine Klamotten über. Die geschenkte Zeit am Morgen ist schon mal die erste positive Sache an dieser ganzen Situation. Ich setze mich vor den Rechner und logge mich in den virtuellen Seminarraum ein. Ich bin wirklich gespannt, wie die ganze Sache hier klappen wird… Die zahlreichen Videokonferenzen, aus denen ich wegen meines schlechten Internets geflogen bin, stimmen mich zwar ein wenig missmutig, bin mir aber sicher, dass unser Seminarleiter Max wieder eine wundervolle Sache zaubert.
Die Verbindung steht und so langsam trudeln immer mehr Teilnehmer*innen in unseren Seminarspace ein. Es ist schon ein witziges Bild, wie jede*r so vor dem Computer hockt. Alle vor unterschiedlichen Hintergründen. Die eine sitzt in ihrer WG Küche, der andere in seinem Zimmer oder sogar draußen auf dem Dach.
Es geht los. Max begrüßt uns mit seiner herzlichen Art und heißt uns alle Willkommen. Das Offensichtliche verschweigt er nicht, sondern spricht es keck an, dass dieses Seminar nicht wie gewollt stattfinden kann und es für ein eigentliches Theaterseminar, dass von dem Kontakt zu anderen Menschen lebt, ein Todesstoß ist. Wir sehen das genauso, wollen aber das Beste daraus machen, denn wir alle freuen uns auf die nächste gemeinsame Zeit. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde, die ich leider zur Hälfte verpasse, weil mein Internet schon wieder ausgefallen ist *schimpf*, reden wir kurz offen darüber, wie es uns so geht und was wir uns von diesem Seminar wünschen, hoffen oder erwarten. Max erklärt uns erst, wie es für diesen Tag weitergeht und dann wie es generell ablaufen wird.
Wir beginnen mit freiem Schreiben. Wir sollen 10 Minuten einfach alles herausschreiben was uns gerade durch den Kopf geht. Bei mir ist das immer ein großes Wirrwarr mit vielen Gedankensprüngen und unvorhersehbaren Einfällen. Ich schätze, wenn sich das jemand durchliest, würde die Person verrückt werden. Aber es fühlt sie auch wie ein gedankliches Ausmisten an und ich kann es nur jedem Menschen da draußen empfehlen. Darauf folgen noch zwei Aufgaben, die sich mit kreativem Schreiben befassen. In diesen 5 Stunden, die wir dafür Zeit bekommen haben, erledige ich erst einmal alles andere und schiebe die Aufgaben ein bisschen vor mich her. Auch irgendwie ganz cool. Denn so kann ich ganz in meinem Tempo arbeiten. Und das ist für die anderen und mich, wie wir uns später im Chat erzählen, ein großer Vorteil. Jede*r bekommt den eigenen Freiraum und die Zeit, die sonst vielleicht ein bisschen fehlt.
Die fertigen Aufgaben stellen wir alle mithilfe eines Programmes in unseren „Datei-Sende-Raum“ und treffen uns danach wieder in unserem virtuellen Seminarraum. Das passiert immer in regelmäßigen Abständen: wir besprechen kurz unsere Aufgaben, erzählen was uns leicht und schwer gefallen ist und bekommen die nächste Aufgabe. Zum Schluss reflektieren wir dann noch einmal gemeinsam den Tag.
Nachdem der erste Seminartag vorbei ist, fällt mir eins sofort auf: mir fehlt der persönliche Kontakt zu den anderen Teilnehmenden. Es fehlen die Gespräche und Spiele, die man sonst nach dem Seminar hatte und die dem Seminar den gewissen Zauber verleihen. Glaubt mir, wenn man das nicht einmal miterlebt hat, kann man es sich kaum vorstellen.
Dafür bekomme ich jetzt etwas Anderes von diesem Seminar. Es ist Abwechslung, Ablenkung und in der jetzigen Zeit ein seltener, geregelter Tagesablauf. Auch wenn ich mir diese Woche vor einiger Zeit anders vorgestellt hatte, bin ich zufrieden und freue mich auf die kommende gemeinsame Woche mit den anderen.
Tag 2
Es ist Mittwoch. Ich schaffe es immer noch nicht eher aufzustehen und komme wieder erst kurz vor Beginn des Seminars aus dem Bett. Aber das ist nicht so schlimm, denn ein neuer Rhythmus braucht Zeit. Als ich online den Raum betrete, begrüße ich die anderen und stelle dann mein Mikrofon aus, damit ich die anderen mit meinen eventuellen Hintergrundgeräuschen nicht störe. Das sind die Kleinigkeiten in Tagen wie diesen, die zur guten Etikette gehören.
Der Tagesablauf bleibt der gleiche. Wir bekommen von Max unsere Aufgaben, die wir bis zu einer bestimmten Uhrzeit erledigen müssen und treffen uns anschließend wieder in unserem persönlichen Videokonferenzraum. Heute sollen wir anhand eines ausgewählten Monologs eine Figurenentwicklung schreiben und dann diesen Monolog vortragen und aufnehmen. Das klingt sehr interessant und ich freue mich auf diese Aufgabe. Vorher muss ich mich aber schnell noch einmal hinlegen, denn so einen, für meine Verhältnisse frühen Tagesablauf, ist mein Körper gar nicht mehr gewohnt.
Nachdem ich meine Figurenentwicklung verfasst habe, mache ich mich an die letzte Aufgabe den Monolog vorzutragen. Max meinte, wir dürfen ruhig ein bisschen kreativ werden und uns ein Kostüm, Make-Up oder ähnliches zusammenzustellen. Ich werde gleich etwas hibbelig, denn so etwas, habe ich schon eine lange Zeit nicht mehr gemacht und ich freue mich riesig, mal wieder in eine neue Rolle zu schlüpfen. Ich wusle durch meine Wohnung, probiere Klamotten an und räume mein Zimmer etwas um, nur um eine passende Bühne für den Monolog meiner Figur zu kreieren. Es macht mir richtig Spaß und ich denke gar nicht mehr an all die aktuellen Ereignisse. Das erste Mal in Wochen arbeite ich effektiv an einem Projekt und vergesse alles um mich herum. Auch wenn es stressig ist, denn ich muss mich bald wieder mit den anderen im Internet treffen, ist es eine Erholung und ein bisschen wie Urlaub.
Es ist interessant, was die anderen in der Zeit so auf die Beine gestellt haben und wie sie die bei sich zuhause vorhandenen Mittel verwenden. So ist jedes Werk, wie wir, individuell und hat coole, versteckte Details.
Als Hausaufgabe sollen wir uns einen von Max ausgewählten Film angucken, auf dessen Grundlage wir dann am nächsten Tag weiter arbeiten werden. Eine tolle Aufgabe, die mir einen süßen Gedanken daran schenkt, wie wir alle an verschieden Orten denselben Film gucken und so als Gruppe vereint sind. Fast schon zu kitschig, um wahr zu sein, aber vielleicht gerade notwendig.
Tag 3
Bereits heute Morgen habe ich schon den ersten kleinen Erfolg zu verzeichnen, denn ich bin schon viel eher wach, als sonst. Wohoo!! Mein Schlafrhythmus holt sich Stück für Stück den Normalzustand zurück!
Durch die gewonnene Zeit wähle ich mich schon mal in unseren Seminarraum ein und quatsche mit ein paar frühen Vögeln über den gestrigen Film. So holen wir das sonst fehlende persönliche Etwas während des Seminars ein bisschen nach. Pünktlich um 10 Uhr fangen wir dann richtig an und bekommen wieder unsere tägliche Aufgabe. Heute: „Baue ein Bühnenbild aus einer von dir ausgewählten Szene aus dem Film aus Karton nach und schreibe dafür ein Konzept!“
Ich bin schnell in meine Arbeit so vertieft, dass ich alles andere um mich herum vergesse und die Zeit wie im Fluge vergeht. Wie immer treffen wir uns nach getaner Arbeit alle wieder miteinander und besprechen die Arbeit und den Tag. Die Fotos, die wir alle in einen Raum schicken, lassen uns so an der Arbeit der anderen teilhaben. Es ist interessant zu sehen wie unterschiedlich die gebastelten Bühnen geworden sind und was wir alles so aus den Materialien, die Zuhause bereits vorhanden waren, zaubern können. Es ist ja bekannt, dass Not erfinderisch macht 😉
Tag 4
Der letzte Tag des Seminars beginnt. Heute bekommen wir keine neuen Aufgaben, denn es dreht sich alles um die Auswertung und Reflexion der letzten Tage. Wir füllen einen Fragebogen aus und erzählen unsere persönlichen High- und Lowlights. Wir können uns alle darauf einigen, dass wir zwar wirklich alle sehr traurig sind, dass es nicht wie gewohnt stattfinden konnte, wir aber trotzdem froh und dankbar für diese Alternative sind, die wir gemeinsam gerockt haben.
Was uns und mir von diesem Seminar bleibt, ist ein im Bastel- und Kostümierrausch verwüstetes Zimmer, neue und coole Leute, die ich unbedingt in echt treffen und besser kennenlernen möchte (hoffentlich auf dem Abschlussseminar!!!) und wie man das Beste aus einer neuen und schwierigen Situation machen kann.
Und so bin ich dankbar für ein Seminar, welches mir Ablenkung und Abwechslung von meinem sonstigen Alltag, neue Aufgaben, Herausforderungen und Erfahrungen geschenkt hat. Ein Seminar, welches von Internetstörungen, fremden Küchen und Zimmern, Kreativität und Leidenschaft lebte.
Danke an alle, die das Seminar so besonders gemacht haben und danke an Max, der uns wie immer eine tolle Zeit beschert hat!