Jugendliche von hinten mit Blick zu einer Hauswand, an der eine umgedrehte Weltkarte hängt mit dem Titel "Perspektiven wechseln"

weltwärts: die Welt mit anderen Augen sehen

„Es ist der Wunsch nach Neuem, nach Freiheit, nach Menschlichkeit und Solidarität, welcher sich in meinen Bemühungen um einen Freiwilligendienst im Ausland widerspiegelt. Für mich liegen die Chancen des interkulturellen Lernens vor allem darin, alte Denkmuster im Kopf aufzubrechen und Menschen, egal welcher Kultur, ohne Vorbehalte zu begegnen. Erkennen zu dürfen, dass es neben unserer westlichen Denkweise noch andere Möglichkeiten gibt die Dinge anzupacken.“ (Simon, FW in Laos 14/15)

Der Wunsch sich zu engagieren, Interessen und Kompetenzen praktisch anzuwenden und dabei auch noch Neues zu lernen, lässt viele Jugendliche die Internetseiten von Freiwilligendiensten finden. Um Sprachkenntnisse zu verbessern, den Lebenslauf aufzupolieren und damit das Abenteuer nicht zu kurz kommt: am liebsten im Ausland! Die verschiedenen Träger, das Spektrum an Tätigkeiten, die Einsatzstellen- und Länder sind auf den ersten Blick überfordernd und es braucht einiges an Ausdauer, um für sich persönlich das passende Format zu finden. Über kulturweit, weltwärts, EFD und IJFD[1] können volljährige Interessierte bis 30 Jahren für sechs bis zwölf Monate in alle Welt ausreisen und werden dabei von unterschiedlichen Ministerien gefördert. Kosten für Unterkunft, Verpflegung, Taschengeld, Flüge, Versicherung und die pädagogische Begleitung werden übernommen. Da aber kein Ministerium zu 100% sponsert, werden die Freiwilligen gebeten, einen Förderkreis aufzubauen, um auf ihr Engagement und die Projekte aufmerksam zu machen und einen kleinen eigenen finanziellen Beitrag zu leisten. In den meisten Fällen werden von den Interessierten Tätigkeiten im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit, gerne im kulturellen, sozialen oder sportlichen Bereich gewünscht – gesessen und zugehört haben die BewerberInnen lange genug und möchten jetzt anpacken, etwas bewegen!

 

“Ai se te pego, ai ai ai se te pego!” tönt es durch ganz St Isabel. Der brasilianische Hit hat es bis in den Süden Afrikas geschafft und hat dementsprechend Erfolg wenn man ihn selber mit einer Gruppe von munteren Kindern spielt. Für den 21. Dezember war die Abschlussfeier der Grundschüler im Zentrum geplant, wofür wir Betreuer mit unseren Klassen eine Vorführung vorbereiteten. Meine Schüler und ich studierten eine Tanzchoreographie zu zwei Liedern ein, die gleichzeitig vorgesungen wurden. Es war allen sehr wichtig dieses Fest zu einem Erfolg zu machen.“ (Tassilo, FW in Mosambik 2013/2014)

 

Die .lkj), Landesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen-Anhalt e.V., ist der Dach- und Fachverband im Land Sachsen-Anhalt für kulturelle Kinder- und Jugendbildung, Breitenkulturarbeit/Soziokultur und kulturelle Freiwilligendienste im In- und Ausland, seit 2008 anerkannter Träger des weltwärts-Programms. Wir entsenden jedes Jahr um die 25 Freiwillige aus allen Teilen Deutschlands nach Asien, Lateinamerika und schwerpunktmäßig Afrika. Als Träger der kulturellen Bildung in Sachsen-Anhalt ist es uns aber besonders wichtig, Interessierte aus Ostdeutschland zu gewinnen. Bei der Auswahl unserer Kooperationen legen wir den Fokus auf Stellen mit kultureller Bildung als Ziel und Methode in der Entwicklungszusammenarbeit. So haben wir neben vielen Schulen als Einsatzstellen auch einen Zirkus in Mexiko, ein Museum und ein Theater in Ghana und eine Imkerei in Togo als Kooperationspartner. Nach unserem Verständnis tragen internationale Freiwilligendienste für alle Involvierten dazu bei, die Fremden und das Fremde als Bereicherung und nicht als Bedrohung zu erfahren.

„Eine meiner Erwartung war, dass ich mich aktiv im Arbeitsgeschehen einer NGO im Gastland beteiligen kann. Anfangs war dies nicht der Fall und ich war fast gar nicht in irgendwelche Aufgaben eingebunden. Doch nun am Ende hat sich das zum positiven verändert und ich bin gut ausgelastet.

Die Erwartung, neue Erfahrungen zu machen und möglichst viel aus meinem Gastland mitzunehmen, hat sich natürlich erfüllt.

Aber die Hoffnung Hindi und somit eine neue Sprache zu lernen, ist leider nicht komplett in Erfüllung gegangen. Einerseits da ich viel zu spät begonnen habe und andererseits da generell viel Englisch in meiner Umgebung gesprochen wird und so hat es nicht für mehr als die Basics gereicht.“ (Judith, FW in Indien 2011/2012)

Interessen und Ziele des Programms sind die Unterstützung eines konkreten Projekts bei einer gemeinnützigen Organisation, der interkulturelle Austausch, Impulse für die entwicklungspolitische Inlandsarbeit setzen und den Nachwuchs zu gewinnen. Der Freiwilligendienst fördert den Nord-Süd-Austausch. Freiwillige aus Deutschland leben und arbeiten im globalen Süden, junge Menschen aus diesen Ländern engagieren sich in Deutschland. Die Freiwilligen lernen die Kultur des Partnerlandes kennen und tauschen sich mit den Menschen in ihrer Umgebung über deren Lebensumstände, Einstellungen und Gewohnheiten, Ideen und Perspektiven aus. Gleichzeitig ermöglichen sie diesen einen Einblick in ihre Kultur. Der interkulturelle Austausch schafft Achtung und Toleranz und trägt zur Verständigung bei.

„Das Leben in einem anderen Land bedeutet die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Lebensentwürfen und Sichtweisen, das Hinterfragen der eigenen Sozialisation, eine Horizonterweiterung im wahrsten Sinne des Wortes. Erfüllt hat sich meine Erwartung viel zu lernen, über mein Einsatzland Argentinien und über mich selber.“ (Anna, FW in Argentinien 2009/2010)

Die Freiwilligen lernen außerdem globale Abhängigkeiten und Wechselwirkungen besser zu verstehen. Sie reflektieren ihre eigene Kultur sowie persönliche Vorstellungen und Verhaltensweisen, wechseln die Perspektive. weltwärts fördert das Globale Lernen.

„Wie wir alle global zusammenhängen, das wird mir hier so oft vor Augen gehalten. Wie Menschen ausgenommen werden weil wir in Europa es können. Ich kann ja entscheiden, ob ich die teure oder doch die hübsche billige Ananas kaufe. Und das werde ich in Zukunft auch …” (Dominique, FW in Togo 2013/2014)

Mit zahlreichen Erlebnissen und Erfahrungen kehren die Freiwilligen aus ihrem Auslandseinsatz zurück. Sie teilen ihre Erfahrungen mit anderen, nicht nur im persönlichen Umfeld, sondern auch an Schulen, im Verein und bei öffentlichen Veranstaltungen. Das Erlebte wirkt oft lange nach und stellt Weichen für die Zukunft. Viele Freiwillige unterstützen nach der Rückkehr weiter das Projekt, in dem sie tätig waren oder die Arbeit ihrer Entsendeorganisation. Sie planen Aktionen mit anderen RückkehrerInnen und setzen sich gemeinsam für eine gerechtere Welt ein.

„Ich engagiere mich im Netzwerk von “Engagement Global” als Bildungsreferent. An Schulen gebe ich in Projekttagen meine Erfahrungen an junge Leute weiter und gewähre ihnen Einblicke in Freiwilligendienste und globale Zusammenhänge. Außerdem habe ich gerade eine neue Initiative gegründet, die sich für nachhaltige Konsumentscheidungen einsetzt.“ (Georg, FW in Laos 2010/2011)

Georg mit Schulklasse

Die lkj achtet bei der Auswahl darauf, ob die Sprachkenntnisse der Freiwilligen ausreichen und ob sie sich im Vorfeld schon in ihrer Gemeinde, Schule, Sportverein, musikalisch, sportlich oder kulturell engagiert haben und auch die Herausforderungen bei einem Jahr im Ausland realistisch einschätzen, denn es sind zwölf Monate Eigeninitiative und Eigenverantwortung gefragt. Die Partner und wir wünschen uns Freiwillige, die anpassungsfähig und flexibel sind, bereit, sich auf Neues einzulassen und die gewohnten Standards zu hinterfragen. Sie müssen belastbar und zuverlässig sein.

 

“Eine wichtige Erkenntnis, die meine Arbeit hier im Allgemeinen begleitet, stellt die Notwendigkeit von Eigeninitiative dar:130 Kinder, die glücklich ihre Suppe schlürfen. Mein eigenes Projekt erfüllt mich jeden Mittwoch aufs Neue mit Enthusiasmus. Eines nach dem anderen kommen die Vier- bis Achtjährigen mit ihren Plastikdosen, Tassen und Tonschalen an die Durchreiche, um sich ihre Suppe abzuholen. Die Suppe war nicht meine Idee aber ich bin in Charge. Ich habe das Gefühl etwas wirklich Sinnvolles zu tun, meine Kraft und mein Projektgeld sinnvoll einzusetzen. Die Kooperation mit der Gefängnisküche funktioniert blendend.” (Simon, FW in Südafrika, 2013/2014)

 

Die Jugendlichen bewerben sich online und sollten schon ein Jahr vor der geplanten Ausreise mit den Bewerbungen beginnen und sich möglichst bei mehreren Trägern bewerben. Geeignete Interessierte werden einen Tag nach Magdeburg zu einem Auswahltreffen eingeladen. Vor der Ausreise findet für alle Freiwilligen gemeinsam ein Vorbereitungsseminar statt auf dem wir uns mit den Ländern und Einsatzstellen beschäftigen. Wir setzen uns methodisch und inhaltlich vielfältig mit Themen wie Kulturschock, Entwicklungspolitik, interkulturelle Kommunikation, der Rolle als Freiwillige/r, Rassismus, Projektmanagement, Methoden der kulturellen Bildung, Gesundheit, Sicherheit, Versicherungen, pädagogisches Arbeit im Gastland, Globales Lernen/Bildung für nachhaltige Entwicklung, Konsum, Umgang mir Konflikten, Sexualität und Gender auseinander. Weiterhin umfasst das pädagogische Begleitprogramm ein Zwischenseminar im Gastland und ein Rückkehrseminar in Deutschland, wo vor allem auf weiterführendes Engagement aufmerksam gemacht werden soll und den Alumnis ein verantwortungsvoller Umgang mit ihrer Multiplikationsrolle nahegebracht wird. Es gibt mittlerweile viele Initiativen für oder von Ehemaligen, so z.B. die Zugvögel e.V. oder die Arbeitsstelle weltbilder e.V. mit ihrem Projekt globalista[2]

„Keine Frage, ich würde mich wieder für einen Freiwilligendienst entscheiden! Es war das ereignisreichste, neugierigste, spannendste und lehrreichste Jahr, was ich je erleben durfte – mein Wunsch Lehrerin zu werden, hat sich hier noch mal bestärkt.“ (Kristina, FW in Togo, 2009/2010)

Helfen wollen und die Welt verbessern sind hehre Ziele von Privilegierten der westlichen Welt – doch wie können Jugendliche sich über die persönliche Bereicherung hinaus wirklich nützlich machen? weltwärts verdanke sich nicht einem von den sogenannten Entwicklungsländern angemeldeten Bedarf, sondern sei mit seiner gut abgesicherten Auslandszeit ein populistisches Angebot an deutsche Jugendliche und deren Eltern.

Seit sechs Jahren stellt sich das aus Steuergeldern finanzierte Programm Kritik dieser Art. Zu wenig Diversität der Zielgruppen ist ein Schwachpunkt, so sind 95% der FW AbiturientInnen. Warum werden die Mittel für Entwicklungshilfe des BMZ nicht direkt in Schulen oder Lehrkräfte im Globalen Süden[3] investiert, gibt es dort nicht genug ungelernte Kräfte, die Hilfstätigkeiten übernehmen können? Muss man dazu den CO2-Ausstoß steigern und jährlich 3000-4000 Jugendliche auf Selbstverwirklichungstrips in die ganze Welt schicken? Zudem wird immer wieder der Vorwurf laut, bei weltwärts bewegten sich alle AkteurInnen in einem Feld, was beständig hierarchische Strukturen produziere. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Berichten von Freiwilligen denen aus der Pionierzeit des Kolonialismus oft absurd nahe kommen: Sie halten sich als einzige Weiße im Nirgendwo auf, beschweren sich über die fehlende Arbeitsmoral der Einheimischen oder entdecken tief im Busch versteckte Hütten. Es wird pauschalisiert und verallgemeinert. Feiwillige geben sich als AnwältInnen der Armen aus, als HeldInnen des Alltags, sie finden sich in privilegierten Strukturen der Entwicklungszusammenarbeit wieder: wohnen in „Gated-Communities“, fahren Dienstfahrzeuge, besuchen auch mal ein Ministerium. Was ihnen zu Teil wird, reflektiert ihre Stellung in der globalen Gesellschaft. So werden von weltwärts alte Bilder über helfende Weiße bedient, die sich gut verkaufen lassen. Eine Anordnung, die auf kolonial-rassistische Muster aufbaut: Die über die Jahrhunderte aufgebaute Dominanz der Menschen aus dem Westen trifft auf die verinnerlichte Unterdrückung der ehemals kolonialisierten Anderen. Freiwillige wollen „helfen“ und bieten Lösungen für Defizite, ohne dass sie dafür qualifiziert wären. Sie repräsentieren aufgeklärte Subjekte, die aufzuklärenden Objekten begegnen.[4]

Frühlingsfest Holi

Es ist Teil der pädagogischen Begleitung der lkj sich gemeinsam mit den Freiwilligen mit diesen Kritikpunkten auseinander zu setzen und über ihre Rolle im Globalen Geflecht zu reflektieren. Einheiten zu Rassismus und Critical Whiteness sind fester Bestandteil der Seminare. Alle Einstatzplätze werden vor der ersten Entsendung vom BMZ geprüft und anerkannt. Die Freiwilligen dürfen keine lokalen Beschäftigten ersetzen. Sie übernehmen zusätzliche Aufgaben, die die Organisation ohne das Engagement von Freiwilligen nicht leisten könnte. Bei der Arbeit mit Kindern können Freiwillige beispielsweise eine intensivere Betreuung gewährleisten. An Schulen können sie den Unterricht durch Konversationskurse ergänzen. Sie bringen eine neue Perspektive in das Projekt ein. Das kann zum Beispiel bei Tourismusprojekten oder der Vermarktung von Produkten besonders hilfreich sein. Sie sind MultiplikatorInnen in der Arbeit mit jungen Menschen und können diesen aufgrund des ähnlichen Alters und ähnlicher Sichtweisen Themen besonders gut nahebringen. Oft entwickeln sie auch neue Idee und eigene Aktivitäten.

„Überall wo Menschen unterschiedlicher Herkunft und Sozialisation aufeinander treffen, haben sie ihre kulturellen Brillen auf, derer sie sich meistens gar nicht bewusst sind, doch Tradition und Konvention lassen sich nicht abschütteln, sie formen unseren Wertehimmel. Diese werden automatisch als richtig und „natürlich“ angesehen. Es kommt unweigerlich zu Irritation auf beiden Seiten – problematisch wird es spätestens, wenn ein Überlegenheitsgefühl und Macht in Spiel kommen. Mir sind in meinem Freiwilligendienst in Ghana zahlreiche dieser Situationen begegnet. Auch wenn ich einiges davon noch verdauen muss, waren das die intensivsten und nachhaltigsten Momente für mich.“ (Laura, FW in Ghana 2012/2013)

Lena Husemann ist seit 2010 im Fachbereich Freiwilligendienste Kultur und Bildung bei der .lkj) für die Koordination von weltwärts zuständig und war zuvor kulturweit-Freiwillige: www.lkj-weltwaerts.de / lena.husemann@jugend-lsa.de

 

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