Lust auf Südost - Interview mit Kiezrebellin Sofia

Lust auf Südost - Interview mit Kiezrebellin Sofia

Im Gespräch mit Sofia Helfrich

Unter dem Motto »Euer Kiezladen in Südost – aber wie?!« hat Sofia im November im Zwischennutzungsprojekt in Magdeburg Südost ein Beteiligungsprogramm organisiert. Sie wollte Eindrücke des Stadtteils Salbke sammeln, ihn gemeinsam mit den Anwohner*innen neu entdecken und Ideen für das Projekt und die Zukunft von Südost entwickeln. Unter anderem darüber hat sie auch ihre Bachelorarbeit geschrieben.

Im Gespräch erzählt sie, wie es dazu gekommen ist, und welche spannenden Erfahrungen sie im Stadtteil an der Elbe gemacht hat.

Aufgewachsen in einem Dorf bei Frankfurt am Main ist Sofia nach der Schule für einen Freiwilligendienst nach Lousã, Portugal gegangen.
Zum Studium ist sie dann 2015 nach Magdeburg gekommen. Schnell hat sie dort die Kulturszene für sich entdeckt und war seitdem in verschiedenen Projekten aktiv, beispielsweise beim Kultur- und Veranstaltungsportal Magdeboogie.
Gelebt und studiert hat sie zeitweise außerdem in Lissabon, Portugal und in Maputo, Mosambik.
 
 
Foto © Nikolas Antoniades

Sofia, wie kamst du zur .lkj) Sachsen-Anhalt und nach Magdeburg Südost?

Das erste Mal in Kontakt mit der .lkj) Sachsen-Anhalt war ich 2015 als Teilnehmerin am Fotowettbewerb F/12. Danach war für mich die .lkj) Sachsen-Anhalt als Teil der Magdeburger Kulturszene stets präsent. 

Ich habe in Magdeburg cultural engineering – Kulturwissenschaft, Wissensmanagement und Logistik studiert. Für meine Bachelorarbeit war ich auf der Suche nach einem spannenden Thema, bei dessen Bearbeitung ich auch praktische Erfahrungen sammeln könnte. Nadia und Christina schlugen mir dafür das Zwischennutzungsprojekt in Südost vor und die Idee gefiel mir sofort sehr gut!

Warum hattest du Lust darauf am Südost Projekt mitzuwirken?

 

Der Magdeburger Stadtteil Südost, den ich selbst noch nicht kannte, war für mich ein spannendes Umfeld für ein Projekt. Ich fand es außerdem spannend, in einem Stadtteil aktiv zu werden, in dem es zuvor nur wenige kulturelle Angebote gab. 

Ich habe in dem Südost Projekt mitgewirkt, da es mir sehr viel Freude bereitet hat, Methoden aus der kulturellen Bildung umzusetzen und gegebenenfalls an die Teilnehmenden und das Umfeld anzupassen. Für mich war das eine interessante Möglichkeit, einen solchen Beteiligungsprozess aus nächster Nähe mitzuerleben und zu gestalten. Gleichzeitig konnte ich hierbei spannende Erkenntnisse für meine Bachelorarbeit erlangen.

Womit hast du dich in deiner Bachelorarbeit beschäftigt?

 

Meine Bachelorarbeit trägt den Titel »Überlegungen zu einer dispositivanalytischen Stadtentwicklung«. Ich habe dabei also den Begriff des Dispositivs genutzt, um städtische Räume zu betrachten. Der Begriff des Dispositivs wurde geprägt durch den Philosophen Michel Foucault. Er nutzt den Begriff um zu untersuchen, wie bestimmte gesellschaftliche Strukturen und Annahmen das Handeln und Denken der Menschen beeinflussen.

Das mag sehr theoretisch und kompliziert klingen, aber als ich in meiner Arbeit einen Stadtteil aus dieser Perspektive betrachtet habe, erschien es mir sehr nachvollziehbar. Dort wirken viele Komponenten zusammen und bilden eine Struktur, die dazu führt,  dass ich den Stadtteil auf bestimmte Weise wahrnehme und ich mich entsprechend verhalte. Dabei spielt es zum Beispiel eine Rolle, wie über den Stadtteil geschrieben und gesprochen wird, wie andere Menschen sich in dem Stadtteil verhalten, welche Gebäude, Gegenstände, Institutionen und natürliche Gegebenheiten dort aufzufinden sind, wie sich Anwohner*innen mit dem Stadtteil identifizieren und wie sich der Stadtteil historisch entwickelt hat. Beim Schreiben meiner Arbeit habe ich mich damit beschäftigt, wie sich solche Strukturen in Städten entwickeln und festigen, sodass sie unveränderbar erscheinen.

Mir war es wichtig, darauf hinzuweisen, dass Strukturen in Städten nicht als unveränderbar hingenommen werden sollten. Veränderung ist immer möglich und zukünftige Entwicklung kann gestaltet werden! Eine dispositivanalytische Stadtentwicklung, wie ich sie in der Arbeit angedacht habe, betrachtet einen Stadtteil also ganzheitlich, aber nicht als etwas determiniertes, unveränderbares System, sondern als Ausgangspunkt für eine auf vielfältige Weise möglichen Entwicklung. 

Nachdem ich mir viele theoretische Gedanken gemacht hatte, war es sehr spannend, diese Sichtweise in Methoden der kulturellen Bildung zu übertragen und damit praktisch anzuwenden. Dazu hatte ich dann in Südost die Möglichkeit.

Erzähle kurz, wie du bei dem Projekt in Magdeburg Südost mitgewirkt hast.

 

Zu Beginn des Zwischennutzungsprojekts in Südost habe ich ein Beteiligungsprogramm zur Gestaltung des Projekts durchgeführt. Unter dem Motto »Dein Kiezladen in Südost – aber Wie?!« war der Ladenraum zwei Wochen lang geöffnet.

Ich habe Methoden der kulturellen Bildung eingesetzt, um gemeinsam mit den Anwohner*innen über den Stadtteil nachzudenken – wie leben wir hier? Was ist uns wichtig? Was macht den Stadtteil aus? Beispielsweise bei einem Fotospaziergang, beim Markieren besonderer Orte im Stadtteil auf einer Landkarte oder bei einem historischen Vortrag konnte der Stadtteil aus neuen Perspektiven kennengelernt werden. Es sollte dabei auch deutlich werden, wie die verschiedenen Komponenten eines Stadtteils zusammenwirken, sodass er zu dem wird, was er heute ist. Das war auch für meine Bachelorarbeit besonders spannend.

Erst im Bewusstsein des Ist-Zustands wird ein Nachdenken über den Soll-Zustand und damit über die Zukunft möglich. Auch in diesem zweiten Schritt habe ich Methoden der kulturellen Bildung angewendet, beispielsweise eine Zukunftswerkstatt, ein Modell des Ladenraums und Anregungen zum Entwickeln von Utopien. Es war dabei schön zu sehen, wie viele Ideen die Anwohner*innen für das Zwischennnutzungsprojekt und Südost hatten.

Bei der Planung und Durchführung des Projekts war es mir besonders wichtig, die Anwohner*innen einzubeziehen. Schließlich geht es um ihren Stadtteil, den sie gestalten können! 

Wieso sind solche Methoden der kulturellen Bildung wichtig für die Stadtentwicklung und die Entwicklung von Bsp. Salbke?

 

In meiner Bachelorarbeit habe ich auch darüber nachgedacht, welche Potenziale sich für die Stadtentwicklung ergeben, indem ein Stadtteil durch Methoden der kulturellen Bildung ganzheitlich betrachtet wird. Ich denke, dass dadurch Stadtentwicklungsmaßnahmen besser an die Bedarfe und Interessen in einem Stadtteil angepasst werden können. Außerdem kann durch den ganzheitlichen Blick eine schlüssige Erzählung über den Stadtteil entwickelt werden, durch die sich ein Stadtteil attraktiv präsentieren kann und durch die sich Anwohner*innen besser mit dem Stadtteil identifizieren können. In der Auseinandersetzung wird die Bindung der Anwohner*innen an den Stadtteil gestärkt und sie eignen ihn sich auf neue Weise an. Ein weiteres Potenzial liegt darin, dass durch Methoden der kulturellen Bildung Beteiligungsprozesse anders umgesetzt werden können.

Ich denke, dass Südost sich in den kommenden Jahren vielseitig entwickeln kann. Es ist ein grüner, nachbarschaftlicher Stadtteil, der sich im Aufbruch befindet. Um diese Entwicklung zu gestalten, ist die Kreativität, die durch Methoden der kulturellen Bildung zum Vorschein kommt, sehr wichtig.

Welche Ergebnisse aus deiner Abschlussarbeit möchtest du mit den Anwohner*innen teilen?

 

Südost ist mir im Laufe der Planung und Durchführung des Projekts auf besondere Weise ans Herz gewachsen. Beim Schreiben meiner Arbeit wurde mir klar, dass in Südost viel Potenzial besteht. Ein dörflich anmutender Zusammenhalt und die Nähe zur Elbe machen den Stadtteil zu etwas ganz Besonderem. Trotzdem setzt sich oft ein anderes Bild durch – benachteiligt, abgehängt, leer stehend.

Beim Schreiben meiner Arbeit wurde mir jedoch sehr deutlich, dass dies nur eine von vielen möglichen Deutungen ist, die sich historisch entwickelt und gefestigt hat. Die Anwohner*innen möchte ich also ermutigen, ein anderes Bild des Stadtteils zu zeichnen und die Entwicklung des Stadtteils mitzugestalten. 

Was charakterisiert für dich die Zusammenarbeit mit der .lkj) Sachsen-Anhalt?

 

Bei der Zusammenarbeit mit der .lkj) Sachsen-Anhalt konnte ich meine eigenen Ideen umsetzen und eigenständig arbeiten. Dabei wurde mir Vertrauen entgegengebracht und ich konnte um Unterstützung und Beratung bitten. Wenn ich meine Ideen vorgestellt habe, hat es mir sehr geholfen, Input zu bekommen. Außerdem konnte ich die materiellen und ideelle Ressourcen und die Reichweite der .lkj) Sachsen-Anhalt nutzen. Es war ein gutes Gefühl, Kompetenz zugesprochen zu bekommen, aber trotzdem nicht alleine gelassen zu werden.

Und wohin geht es jetzt für dich?

 

Mir hat die Organisation und Durchführung des Projekts viel Spaß gemacht. Deswegen würde ich solche Projekte auch gerne in Zukunft weiterverfolgen. Wo und in welcher Form genau, das wird sich noch zeigen.